Archiv der Kategorie: Reportage

Telefonzelle mit Migrationshintergrund in Rosdorf

von Ralf Lesjak

So könnte eine Schlagzeile im Göttinger Tageblatt  lauten.  Aber lasst mich die Geschichte von Anfang an erzählen.

Wer kennt sie nicht, diese typisch britischen, roten Telefonzellen,  auf Englisch auch „Telephone Box“, oder „Telephone Kiosk“ genannt. 

Die Jüngeren werden jetzt sagen: Voll krass, warum gab es früher ein festgebundenes Handy in einem Haus?  Darauf kann ich nur Antworten:  Zum Telefonieren! Megakrass, damals konnte man schon Sprachnachrichten appen.  Ja und zwar bidirektional. Das bedeutet:  zwei Personen können gleichzeitig sprechen und hören!

Aber zurück zur Box. Die heute so bekannten roten Telefonzellen wurden 1924 von dem britischen Architekten Sir Giles Gilbert Scott für die britische Postbehörde entworfen und hießen schlicht Modell K2.  Hier sehen wir das Modell K6, welches auch „Jubilee Kiosk“ genannt wird, da es ab 1936 anlässlich des silbernen Thronjubiläums von König Gerorg V. angefertigt wurde. Der König starb jedoch, bevor die Telefonzelle fertiggestellt war. Von der K6 wurden bis Anfang der 60er Jahre ca. 60.000 Stück hergestellt.  Viele stehen in  Großbritannien inzwischen unter Denkmalschutz. Die Telefonzelle ist sehr stabil,  aus Gusseisen gefertigt und wiegt in etwa so viel wie ein Kleinwagen. Sie ist praktisch für die Ewigkeit gefertigt. Heute nennt man das nachhaltig.

Ich benutzte das erste Mal 1987 in London „such a Telefone Kiosk“ um kurz meinen Eltern mitzuteilen, dass ich gut angekommen war. Während des kurzen Gesprächs, musste man kontinuierlich Schillingmünzen nachwerfen, denn sonst wurde die Verbindung sofort unterbrochen. Damals war man während eines Urlaubs einfach nicht erreichbar, außer man rief aus einer Telefonzelle in seiner Heimat an. Heute unvorstellbar !

Die Londoner Zellen waren neben den Bussen ein wunderbares Fotomotiv.  Danach verloren wir uns aus den Augen. Aber ausgemusterte Zellen verbreiteten sich inzwischen auf der ganzen Welt. Man findet sie in Städten als Eyecatcher und Werbeträger; in Kneipen als Schallschutz- oder Rauchertelefon (gib mir ein Rauchzeichen);  in Gärten als Geräteschuppen, Dusche oder gar Toilette. In der Bielefelder Innenstadt steht auch eine. Wobei: Gibt es überhaupt Bielefeld ? Vor kurzem entdeckte ich eine Zelle vor dem Hundertwasserhaus in Wien. Einfach schön anzuschauen. Die passt einfach überall hin.  Auch nach Rosdorf. In dieser Zeit mit Brexit ein Flüchtling aus dem Königreich mit Akzent zum Akzente setzen!

Wie bekommt man eigentlich so eine Zelle ? Googeln kostet ja nichts!  Nur mal unverbindlich schauen, nichts anfassen. Es gibt sie zum Wucherfestpreis direkt in Great Britain. Zuzüglich Transport. Passt so etwas überhaupt durch den Eurotunnel ? Ein weiteres Angebot zeigt ein verrostetet Skelett ohne Glas und Tür für echte Liebhaber zum selberabholen in Süddeutschland. Dazu der Hinweis: „Die Telefonzelle steht ganz hinten im Garten. Fasse auch mit an!“ Keine gute Idee bei 800 kg Zellengewicht !

Aber es gibt auch eine original englische Telefonzelle in Leipzig bei einer Internetauktion für z.Zt.1€ zum Selbstabholen. Die Fotos zeigen einen sehr guten Zustand. Da könnte ich mitbieten. Aber ist es ein seriöses Angebot ?  Es könnte auch ein Fake sein. Ich finde über einen Werbeaufkleber und den Fotohintergrund über Google Maps einen Innenhof  in der Leipziger Innenstadt. Und wie es Kollege Zufall so will, meine Tochter wohnt auch gerade in Leipzig und zwar zwei Straßen weiter. Ich schicke sie sofort hin, und sie macht sogleich Fotos. Sie ist wunderschön! Diese Eleganz und Anmut! Ganz in rot steht sie strahlend in der Ecke. Ich meine die Zelle, nicht meine Tochter. Auf die trifft das natürlich auch zu.  Die Detektivarbeit hat sich gelohnt. Es ist alles wie angeboten. Ich kann somit beruhigt mitbieten, aber der Profi bietet erst zum Schluss. Also Termin setzten und warten. Dann geht es ganz fix. Noch 10 Sekunden.

 Jetzt schnell 3…2…1 … Meins !

Juhuuh, das war ja einfach! Ich bin jetzt Telefonzellenbesitzer ! Und der Transport ? Mache ich selbst ! Der Verkäufer wollte schließlich beim Aufladen behilflich sein. Termin gemacht, Urlaub genommen, Anhänger gemietet  und los geht’s in den nahen Osten.

Ich rufe von unterwegs zur Sicherheit noch einmal beim Verkäufer an. Es sächselt in der Leitung. „Haaabeens waas zuhm uuufladen dabeii ?“ Ich schlucke: „Ja, Handschuhe !“ Die Zelle wiegt ja nur 800 kg. „Sie wollten doch behilflich sein ?“ „Jooh natürrrliich, ich packee ooch mit ahn.“ „Das geht so nicht ! Wir brauchen eine Radlader zum Aufladen !“ „Ich kümmaa müüch.“  Damit ist das Telefongespräch beendet. Ich mache mir ernste Sorgen, denn nur mit der Hand lässt sich so ein Eisenklumpen keinen Millimeter bewegen.

Als ich in Leipzig ankomme steht, in der Hinterhofeinfahrt der Verkäufer neben einem Radlader mit laufendem Motor. „Wir woorten schoan, nuhhh aber loooas“. Der Verkäufer hatte auf der benachbarten Baustelle kurzerhand einen Radladerfahrer angesprochen.  Nun muss es schnell gehen. Leider hat die Zelle keine Transportösen. In England werden die Zellen mit einem Spezialanhänger befördert und aufgestellt.  Wie der Radladerfahrer die Zelle aus dem Innenhof durch die schmale Einfahrt auf meinen Anhänger bugsiert hat, ist mir bis heute immer noch nicht klar!

Als ich die Telefonzelle verzurre, spricht mich ein Nachbar an. „Woos machense denn doooohhhaa ?“  „Ich lade eine Telefonzelle auf“.  „Ist deess  net die ausem Innenhoooaaf  ? Mann weess ja niiiihh“ . Ich zeige ihm den Kaufvertrag. Damit ist er zufrieden.

Ich stelle fest, dass es in Leipzig hilfsbereite Baggerfahrer, wunderschöne Innenhöfe und aufmerksame Nachbarn gibt und bin jetzt endgültig überzeugt: Meine Tochter wohnt hier sehr gut!

Auf der Rückfahrt durch Leipzig und auf der Autobahn schauen die Leute sehr interessiert und winken. So ein Gespann aus rotem Auto und roter, liegender Telefonzelle sieht man anscheinend nicht alle Tage. Wie auf rohen Eiern geht es über die A38 behäbig nach Hause.

Nun muss die Zelle nur noch in Rosdorf aufgestellt werden. Als ich am Samstag spontan den Bauunternehmer Udo Usebach anrufe, ist er sofort Feuer und Flamme und lädt die Zelle mit seinem Radlader fachmännisch ab, um sie dann hier aufzustellen.  Auch er kann anscheinend zaubern. Danke Udo !

Nachdem die Zelle im Boden verankert, eine defekte Scheibe repariert, Licht installiert , der Boden mit Riffelblech und die Wand mit einem Regal versehen sind, können wir ab heute die Telefonzelle als öffentlichen Bücherschrank für Noten und fremdsprachig Literatur dem Verein RobiNet zur Verfügung stellen.

Das nennt man Zellteilung !

Im Krankenhaus mit Raah aus Syrien

von Ralf Lesjak

Bei einem Krankenhausaufenthalt im Universitäts Klinikum Göttingen habe ich 4 Tage mit einem syrischen Flüchtling in einem Zweibettzimmer verbracht. Vom Pflegepersonal wurde ich in das Zweibettzimmer gebracht und bekam lediglich die Information, dass er nur arabisch spräche. Nun waren wir erst einmal allein. Wir lächelten uns an. Ich sprach ihn auf Englisch und Deutsch an und versuchte über Gesten, meinen Namen zu vermitteln. Er tat das gleiche auf arabisch. Wir verstanden nichts und mussten lachen. Nun schrieb ich meinen Namen auf Papier, er seinen auf Arabisch. Erst als er mir seinen Pass zeigte, wusste ich, dass er Raah heißt und 32 Jahre alt ist. So kommunizierte ich auf englisch und deutsch mit Gesten und Rhaa auf arabisch mit Gesten. Ich erfuhr, dass er aus Duma in der Nähe von Damaskus mit seiner Frau und drei Kindern vor kurzem geflohen war. Er deutete russische Bombenangriffe an, welche sein Wohnhaus und seinen Frisörsalon, den er seit 18 Jahren betrieb, zerstört hätten. Duma, ein Vorort von Damaskus, ist einer der am härtesten umkämpften Regionen Syriens und inzwischen nahezu vollständig zerstört.

Da wir wir beide ein Smartphone hatten, richtete ich bei ihm das WLAN ein, damit er mit seiner Verwandschaft in Bremen kommunizieren konnte. So erfuhr ich, dass er angeschossen wurde und auf seiner beschwerlichen Flucht eine halbseitige Gesichtslähmung und eine starke Bronchitis davongetragen hatte. Er war über Hannover nach Wollershausen und danach über Friedland ins Krankenhaus gebracht worden. Bei der Aufnahme half ein arabischer Übersetzer, danach musste er allein zurechtkommen, da für das Pflegepersonal und die Ärzte keine Zeit bleibt, um Sprachbarrieren zu überwinden.

Durch moderne Apps , wie „google translate“  ist es möglich ins Telefon zu sprechen und eine arabische Übersetzung zu erhalten. So war es uns möglich, uns auszutauschen. Wir saßen oft beim Essen zusammen und sprachen in unsere Handys. So eine Übersetzung ist selten perfekt und führt daher oft zu Heiterkeit. Aber auch das ist Kommunikation.

Zum Ende der Woche ging es Raah besser, so dass er entlassen wurde. Spontan umarmten wir uns bei der Entlassung. Ich bin inzwischen auch wieder zu Hause und hoffe, dass es ihm und seiner Familie gut geht. Für mich hat sich gezeigt, dass auch ohne die gleiche Sprache Kommunikation und menschliche Nähe möglich ist.

Schenke eine Lächeln und du wirst eins zurückbekommen.