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Jahrhundertwende Gedichte im Jahrhundertwende Saal

von Ruth Finckh

Am 9.7.2019 erlebte der historische Saal der früheren Gaststätte „Deutsches Haus“ (jetzt Musi-Kuss) eine unerwartete Neu-Einweihung. Jahrzehntelang hatte er nur als Lagerraum gedient und kaum menschlichen Besuch erhalten. Nun war er von Gerümpel weitgehend befreit worden, und an diesem Nachmittag strömten 25 neugierige Senioren vergnügt plaudernd durch die Tür, bestaunten die gut erhaltene historische Wanddekoration und genossen die einzigartige Atmosphäre. Schließlich ließen sie sich an vier Holztischen nieder, die mitten auf der früheren Tanzfläche aufgebaut worden waren. Der Grund ihres Besuchs waren Gedichte. Die Gäste waren nämlich Teilnehmer zweier Seniorenseminare von Ruth Finckh an der Universität des Dritten Lebensalters (UdL). Eines dieser Seminare beschäftigte sich mit Schriftstellerinnen aus der Epoche um 1900 – also aus der Entstehungszeit des Saals. Nun hatte man beschlossen, die Gedichte von Else Lasker-Schüler (1869-1945), einer Freundin des Malers Franz Marc, in einem passenden historischen Ambiente zu lesen. Das Experiment gelang. Die Texte entfalteten in dieser Umgebung eine zusätzliche Intensität und Leuchtkraft. Besonders anrührend fanden viele das Gedicht „Weltflucht“:

Weltflucht
Ich will in das Grenzenlose
Zu mir zurück,
Schon blüht die Herbstzeitlose
Meiner Seele,
Vielleicht – ist’s schon zu spät zurück!
O, ich sterbe unter Euch!
Da Ihr mich erstickt mit Euch.
Fäden möchte ich um mich ziehn –
Wirrwarr endend!
Beirrend,
Euch verwirrend,
Um zu entfliehn
Meinwärts!

Man
sprach über das Bedürfnis nach Alleinsein, das in diesem Text zum Ausdruck kommt, über die Form der Gedichte und viele andere Themen. Die lebhafte Diskussion erfüllte den alten Raum spürbar mit Leben. Daher freuten sich die Teilnehmer besonders darüber, die ersten zu sein, die ihn nach seiner Schließung vor 50 Jahren wieder für eine Kulturveranstaltung nutzen durften. Als Ute Lesjak, die Miteigentümerin, von den Plänen zu einer Renovierung berichtete, stieß sie auf große Begeisterung bei den Gästen. Vielfach wurde der Wunsch geäußert, über das Schicksal des wunderschönen Saals auf dem Laufenden gehalten zu werden und eine spontan herumgereichte „Spendentasse“ kam gut gefüllt zurück.